Dauerhafte Zurverfügungstellung eines Arbeitnehmers unter Beibehaltung seines ursprünglichen Arbeitsvertrags, EuGH Urteil C-427/21

Sachverhalt: Findet die Richtlinie über Leiharbeit Anwendung, wenn der Arbeitnehmer wegen seines Widerspruchs zum Betriebsübergang dauerhaft überlassen wird?

Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Anwendung der Richtlinie über Leiharbeit 2008/104/EG. Das Urteil ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Arbeitnehmer und seiner Arbeitgeberin über die Pflicht des Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung dauerhaft bei einem anderen Unternehmen zu erbringen, nachdem ein Betriebsübergang stattgefunden hat. 

Der Arbeitnehmer schloss im April 2000  mit seiner Arbeitgeberin, einer Klink, einen Arbeitsvertrag. Im Juni 2018 verlagerte diese einige Bereiche und die mit diesen Bereichen verbundenen Aufgaben auf die Gesellschaft A. Diese Verlagerung hätte zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers auf die Gesellschaft A übergegangen wäre. Der Arbeitnehmer machte jedoch von seinem Recht aus § 613a Abs. 6 BGB Gebrauch, dem Übergang dieses Arbeitsverhältnisses zu widersprechen. Somit bestand es gegenüber seiner Arbeitgeberin fort. Es galten weiterhin die bisherigen Arbeitsbedingungen und vertraglichen Bestimmungen.

Allerdings war der Arbeitnehmer verpflichtet, seine Arbeitsleistung bei der Gesellschaft A zu erbringen. Diese verfügte in fachlicher als auch in organisatorischer Hinsicht über eine Weisungsbefugnis ihm gegenüber. Nach § 4 Abs. 3 TVöD war die Arbeitgeberin berechtigt, den Arbeitnehmer der Gesellschaft A dauerhaft zur Verfügung zu stellen, und diese durfte ihm Weisungen erteilen.

Der Arbeitnehmer war aber der Ansicht, dass die zuletzt genannte nationale Regelung gegen das Unionsrecht und insbesondere gegen die Richtlinie 2008/104/EG zur Leiharbeit verstoße, da diese nationale Regelung eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung erlaube. Daher erhob er Klage auf Feststellung, dass er trotz der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verlagerung nicht verpflichtet sei, seine Arbeitsleistung dauerhaft bei der Gesellschaft A zu erbringen.

Nachdem die Klage in erster und zweiter Instanz abgewiesen worden war, legte Arbeitnehmer beim Bundesarbeitsgericht Revision ein. Das Bundesarbeitsgericht setzte das Verfahren aus und wendete sich an den EuGH.

Entscheidung des EuGH: Richtlinie über Leiharbeit findet keine Anwendung

Dem EuGH wurde unter anderem die Frage vorgelegt, ob Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104 Anwendung findet, wenn – wie in § 4 Abs. 3 TVöD bestimmt – Aufgaben eines Arbeitnehmers zu einem Dritten verlagert werden und dieser Arbeitnehmer bei weiter bestehendem Arbeitsverhältnis zu seinem bisherigen Arbeitgeber auf dessen Verlangen die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft bei dem Dritten erbringen muss und dabei dem fachlichen und organisatorischen Weisungsrecht des Dritten unterliegt.

Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass ein Arbeitgeber, sowohl bei Abschluss des betreffenden Arbeitsvertrags als auch bei jeder der tatsächlich vorgenommenen Überlassungen, die Absicht haben muss, den betreffenden Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen vorübergehend zur Verfügung zu stellen. Nur in diesem Fall findet die Richtlinie auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.

Im vorliegenden Fall erbringt der Arbeitnehmer die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses mit seinem Arbeitgeber vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zwar gegenüber einem Drittunternehmen und unterliegt in diesem Kontext dessen „Aufsicht“ und „Leitung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG. Er wird also wie ein Leiharbeiter tätig.

Keine Absicht des Arbeitgebers auf dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung

Die Anforderungen der Richtlinie sind jedoch nicht erfüllt. Der Arbeitgeber hatte beim damaligen Abschluss des betreffenden Arbeitsvertrags nicht die Absicht, diesen Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Zudem fehlt es an dieser Absicht auch bei der Überlassung des Arbeitnehmers an das Drittunternehmen, wenn – wie hier – das Arbeitsverhältnis zu dem Arbeitgeber nur deshalb fortbesteht, weil der Arbeitnehmer von seinem Widerspruchsrecht im Rahmen eines Betriebsübergangs Gebrauch gemacht hat.

Schutz der Leiharbeiter als Ziel der Richtlinie bei Widerspruch zu Betriebsübergang nicht immer einschlägig

Des Weiteren bezieht sich die Richtlinie ausschließlich auf vorübergehende Arbeitsverhältnisse, Übergangsarbeitsverhältnisse oder zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse und nicht auf Dauerarbeitsverhältnisse.

Schließlich kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass der in der Richtlinie vorgesehene Schutz der Leiharbeiter auf das Ausgangsverfahren keine Anwendung findet. Denn das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers, dessen Aufgaben verlagert wurden, besteht fort. Außerdem kann der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf das Drittunternehmen widersprechen, was zur Folge hat, dass ihm sämtliche Arbeitsbedingungen erhalten bleiben, die für ihn vor der Verlagerung seiner Aufgaben galten.

Fazit: Keine Anwendung der Richtlinie bei fehlender Absicht zur Arbeitnehmerüberlassung

Aus dem Urteil wird deutlich, dass die Richtlinie über Leiharbeit keine Anwendung findet, wenn der Arbeitgeber eines Arbeitnehmers keine Absicht hatte, ihn an den Dritten als Leiharbeiter zur Verfügung zu stellen. Im vorliegenden Fall sollte das Arbeitsverhältnis auf den Dritten übergehen. Dazu kam es nicht, weil der Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprochen hatte. In diesem Fall darf ihn sein Arbeitgeber dauerhaft überlassen. Allerdings gilt dies nach § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG nur für Tarifverträge des öffentlichen Dienstes.

 

 

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