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Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) befasst sich mit der strafrechtlichen Behandlung von Arbeitgeberpflichten bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer durch Subunternehmer innerhalb der Europäischen Union. Die Entscheidung beleuchtet zentrale Fragen zur Bindungswirkung der EU-Entsendebescheinigung A1 sowie zu steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten, insbesondere in Fällen, in denen Beschäftigungsverhältnisse möglicherweise missbräuchlich gestaltet wurden. Es setzt dabei klare Maßstäbe für die Anerkennung von A1-Bescheinigungen und die Verantwortlichkeit für Steuer- und Sozialabgaben.
Sachverhalt: Was bedeutet die A1-Bescheinigung für die sozialversicherungs- und steuerrechtliche Verantwortung deutscher Unternehmen beim Einsatz von Ausländern eines EU-Subunternehmers?
Im Mittelpunkt des Falls standen der Geschäftsführer D. einer deutschen Bau-GmbH und der Prokurist S. der litauischen Subunternehmerfirmen UAB K. und UAB L. Die Subunternehmen setzten Arbeitskräfte aus Drittstaaten ein, die in Deutschland ohne gültige Aufenthaltstitel beschäftigt wurden. Die Anklage warf D. gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern, Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt sowie Steuerhinterziehung vor. S. wurde als Beihilfeleistender zu diesen Taten angeklagt. Ein Kernpunkt des Falls war die Frage, ob die ausländischen Beschäftigten sozialversicherungspflichtig in Deutschland waren und ob D. als deren Arbeitgeber im Sinne des deutschen Sozialversicherungsrechts zu betrachten sei.
Entscheidung des BGH
Bindungswirkung der EU-Entsendebescheinigung A1
Das Gericht bestätigte, dass die von einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten A1-Entsendebescheinigungen die deutschen Behörden binden. Selbst wenn diese Bescheinigungen möglicherweise betrügerisch oder missbräuchlich erlangt wurden, haben sie nach Unionsrecht bis zu ihrem Widerruf durch den ausstellenden Mitgliedstaat Rechtskraft. Dies stützt sich auf die Sozialversicherungs-Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und die Durchführungsverordnung Nr. 987/2009, die vorsehen, dass Bescheinigungen eines Mitgliedstaats in den anderen Mitgliedstaaten bis zu einem Widerruf als gültig betrachtet werden müssen.
Der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet bei Betrug und Rechtsmissbrauch jedoch den ausstellenden Träger der Entsendebescheinigung A1, Beweise, die der Aufnahmestaat für eine möglicherweise betrügerische Erlangung der Bescheinigung vorlegt, zu prüfen und gegebenenfalls unrechtmäßig ausgestellte Bescheinigungen zurückzuziehen. Erst wenn der ausstellende Träger dieser Verpflichtung nicht nachkommt und der Mitgliedstaat, in den der Arbeitnehmer entsendet wurde, einen Betrug ordnungsgemäß festgestellt hat, kann er die Bescheinigungen außer Acht lassen.
Arbeitgeberstellung des Auftraggebers
Die Frage der Arbeitgeberstellung von D. wurde entscheidend dadurch beeinflusst, dass die A1-Bescheinigungen für die Beschäftigten der UAB K. und UAB L. galten. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass diese Arbeitnehmer rechtlich den litauischen Firmen zuzuordnen seien und D. nicht als deren Arbeitgeber im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gelte. Die strafrechtliche Bindungswirkung des A1-Bescheinigung führte zur Freisprechung von D. bezüglich der Vorwürfe der Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) für die betreffenden Arbeitnehmer. Selbst wenn diese rückwirkend zurückgenommen werden, bleibt deren Bindungswirkung bis zu diesem Zeitpunkt bestehen.
Mögliche Strafbarkeit der Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung
Obwohl die A1-Bescheinigungen eine sozialversicherungsrechtliche Bindung entfalten, schließt dies die Lohnsteuerpflicht nicht aus. Das Gericht stellte fest, dass sowohl D. als Geschäftsführer der deutschen GmbH als auch S. als Prokurist und Verfügungsberechtigter der UAB K. für die steuerliche Behandlung der Löhne Verantwortung trugen und daher eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) in Betracht kommen könnte. Da jedoch die Anklage keine Vorwürfe bezüglich der Lohnsteuerpflicht umfasste, konnte das Gericht in diesem Fall keine Verurteilung der Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung aussprechen.
Bedeutung des Urteils
Das Urteil hat weitreichende Bedeutung für die Praxis, insbesondere im Bau- und Subunternehmerbereich, in dem häufig ausländische Arbeitnehmer eingesetzt werden. Die Entscheidung bestätigt, dass A1-Bescheinigungen eine verbindliche Wirkung auf die Sozialversicherungspflicht in Deutschland haben, selbst in Fällen potenziellen Missbrauchs. Dies bedeutet, dass Arbeitgeber, die ausländische Subunternehmer aus der EU beauftragen, bei Vorliegen einer A1-Bescheinigung grundsätzlich nicht für die Sozialversicherungsbeiträge dieser Arbeitnehmer haften.
Fazit
Zusammenfassend betont das Urteil die Bindungswirkung von A1-Bescheinigungen und stärkt damit das Vertrauen in die unionsrechtliche Absicherung der Freizügigkeit von Arbeitskräften. Arbeitgeber, die mit Subunternehmern zusammenarbeiten, können auf die Gültigkeit von A1-Bescheinigungen vertrauen, solange diese nicht widerrufen wurden. Es wird jedoch empfohlen, eine sorgfältige Prüfung und Dokumentation solcher Bescheinigungen vorzunehmen und den Status der Bescheinigungen regelmäßig zu überprüfen, um rechtliche Risiken zu minimieren. Für Unternehmen kann es zudem sinnvoll sein, mit den Subunternehmern klare vertragliche Regelungen zu treffen, um Verantwortlichkeiten festzulegen und sich gegen mögliche spätere Rechtsänderungen abzusichern.
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